Hintergrund
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Writers' Room

Albaraa Alsaadi stammt aus Daraa, Syrien. Der Architekt ist seit 2015 in Deutschland und arbeitet in einem Düsseldorfer Architekturbüro. Begleitend studiert er an der RWTU Aachen.

Was Syrien und die Menschen dort betrifft: Dort lächelt man über ein Virus, das nur mit dem Mikroskop sichtbar ist. Wenn es auch vor allem um die Ausbreitung geht und um die Möglichkeit, Tausende, Abertausende zu infizieren, so ist die Gefahr durch das Virus nicht für alle Menschen groß. Außerdem sind Todesfälle relativ selten — für die Syrer*innen ist es noch kein seriöses Thema.
Während der letzten neun Jahre haben sich im Land Viren ausgebreitet, die viel größer sind als das Coronavirus: Viren, die eigens vom Regiment hergestellt wurden. Neun Jahre wussten die Zivilisten nicht genau, in welcher Form das Virus sie treffen kann! Wird es in Form einer Fassbombe oder einer Luft-Boden-Rakete sein? Bei der 1. Variante beträgt die Infektions- und Todesrate 120%. Bei dem Virus als Luft-Boden-Rakete oder Mörser liegt der Prozentsatz der Infektion und Tötung bei 95%. Und dann gibt es noch eine 3. Art: chemische Waffen. Hier übersteigt der Prozentsatz von Infektion und Tötung 150%!
Ein großer Unterschied zwischen dem tödlichen Virus der syrischen Regierung und der Coronavariante besteht darin, dass das syrische Kriegsvirus Politiker und Unternehmer nicht betreffen kann, sondern nur Zivilisten. Corona aber trifft alle Menschen auf der Welt, alle Schichten, Ränge und Ethnien.
Im Gegensatz dazu kann sich das syrische Kriegsvirus (SYKVID-11) dank der Weltmächte nicht über die Grenzen Syriens hinaus verbreiten! Das hatte den Tod von fast 800.000 Syrern zufolge und Verletzungen von Hunderttausenden, hauptsächlich Kindern und Frauen.
Echte Maßnahmen gegen Corona in Syrien gibt es keine, weil das Land zu sehr geschwächt wurde. Es fehlen Krankenhäuser, Ausrüstung und Fachkräfte, die aus dem Land vertrieben wurden, und es besteht auch kein staatliches Interesse, echte gesundheitliche Maßnahmen zu unterstützen. 
Die Bürger in Syrien haben vielleicht Angst, aber sie lächeln noch immer über Corona, obwohl es nicht einmal etwas zum „Hamstern“ gibt. Ihre Antwort ist, dass sie ein gutes Überlebenstraining im Kampf mit den komplexesten und hartnäckigsten Viren der letzten neun Jahre absolviert haben.
Bis heute melden die syrischen Behörden immer noch keine Covid Opfer, nicht einmal Infizierte im Lande. Es genügt einfach halluzinierend zu hoffen, dass die syrische Regierungsarmee alle Keime beseitigt hat!
Etwa eine Millionen Syrer leben nun in Deutschland, darum interessiert man sich sehr für die Lage hier. Vor paar Tagen bekam ich eine Voice Massage von Freunden in Syrien: "Mögen die Deutschen bei dir keine Sorgen haben und sie sollen den Mut nicht sinken lassen! Am Ende siegt immer der Mensch". 

Salah Ali Ngab ist in Libyen geboren und lebt seit 2016 in Deutschland. Der Dichter, Schriftsteller und Journalist macht zurzeit eine Ausbildung als Krankenpfleger am Uniklinikum Düsseldorf.

Ich hasse die Nachrichtensendung!

Die Person, die mich aus dem Badezimmerspiegel ansah, sagte:

A: Ich hasse die Nachrichten, glaube mir, weil wir aufgrund der Nachrichten versuchen, ein neues Leben zu beginnen, das nicht möglich ist.

B: Und warum denkst du, dass es nicht möglich ist?, fragte ich ihn.

A: Weil das Leben selbst nicht möglich ist! Wohin gehst du?, wollte er wissen und setzte seine Brille auf.  

B: Ich werde nach Nudeln suchen - es gibt keine Nudeln mehr in den Supermärkten.

Mein Freund im Spiegel fing an zu lachen, aber ich verstand den Grund für dieses plötzliche Lachen nicht.

B: Warum lachst du?, fragte ich ihn.

A: Ich erinnere mich, dass dein Problem vor Jahren die Demokratisierung bei den Hyänen und Füchsen war. Du hast von einem Ort geträumt, an dem ein Kaninchen neben einem Wolf leben könnte, und heute bist du wie ein totes Kaninchen mit offenen Augen. Dein größtes Problem ist eine Tüte Nudeln!

Im Hintergrund hörte ich den Ton des Fernsehers.

A: Corona!, sagte mein Freund. Richtig; es scheint, dass viele Menschen sterben werden und einen Kühlschrank voller Lebensmittel und auch massenhaft Nudeln zurücklassen werden .

B: Aha, entgegnete ich: Du scheinst auch die Nachrichten zu verfolgen. Hast du nicht gesagt, dass du sie hasst?

A: Ja, ich hasse die Nachrichten. Sie sind alle falsch. Glaube mir, niemand weiß etwas Reales auf diesem Planeten! Manchmal sagen sie aber doch die Wahrheit - ich muss fair sein.

B: Was meinst du damit?, fragte ich ihn.

A: Hast du nicht gehört, dass der einzige Ort auf dem Planeten, an dem keine Menschen mit dem Corona-Virus infiziert sind, dein Heimatland ist?, antwortete er mir.

B: Du meinst Libyen?!

A: Ja, wegen des Krieges hat Corona es nicht gewagt, dort einzudringen. Aber vielleicht sind das auch nur Falschnachrichten.

B: Ich verstehe, was du meinst! Ich komme aus Libyen und ich weiß, dass das Gesundheitssystem korrupt ist, das Wasser korrupt ist, die Luft korrupt ist, sogar die Stimmen der Vögel korrupt sind. Ich denke nicht daran, jemals zurückzukehren, denn das Problem dort ist sehr viel größer als ein Virus. 

Während ich ihm antwortete, sah ich Blut auf seine Wange fließen. Er hatte sich mit dem Rasiermesser verletzt.

A: Keine Sorge, eine Wunde wie diese tötet niemanden. Der Tod ist heutzutage damit beschäftigt, die Leichen der Armen und Glücklichen in den Straßen von Wuhan, Teheran, Neapel und Madrid zu fangen, wie es in den Nachrichten heißt.

B: Hier wiederholst du die Nachrichten über die Corona-Versäumnisse.

A: Corona-Versäumnisse? Machst du Witze? Es ist die Natur, mein Freund, die natürliche Auslese, der Tod kennt weder internationale Grenzen noch Freundschaften, Eheverträge oder Verträge für Pharmaunternehmen an. Viele der Glücklichen werden aufgrund der schlechten Qualität der Diagnose an dieser Krankheit sterben, ohne es zu wissen, dass sie infiziert waren. Hast du Angst?,
fragte er mich, als er seine Brille abnahm, die einen Sprung hatte.

B: Was fürchte ich? Ich bin eine Person, die aus der Hölle geflohen ist! Der Tod wegen einer Erkältung ist für mich viel schöner als der Tod wegen eines Lebens als Kaninchen in einer Gemeinschaft von Füchsen, der Tod wegen Großmachtsideen!

Corona ist auch nur eine Idee. Es gibt nichts, wofür es sich zu leben lohnt, außer dem Leben selbst. Weißt du, nach der Coronakrise wird sich die Bevölkerung des Planeten vergrößern. Die Isolation ist tödlich, aber wenn es nur eine Frau in der Nähe gibt, wird neues Leben entstehen. Der Tod wird die Menschheit nicht besiegen.

A: Was meinst du?

B: Die Nachrichten interessieren sich dann für dich, wenn du eine Leiche bist, und so werden mehr Geschichten von Verstorbenen erzählt als von Lebendigen.

A: Geschichten von allen Leichen?, frage ich ihn.

B: Lange nicht von allen – schon gar nicht aus Libyen! Der Tod erkennt keine Geographie – die Nachrichten aber leider schon!

Ich schaltete das Badezimmerlicht aus und eilte mit meiner Maske in den Händen hinaus, anstatt sie zu tragen. Ich hoffte auf die Chance, schnell einen Kuss von meiner Nachbarin zu bekommen, damit ich dann mit einem Lächeln vor meinen Lebensmittelhändler treten kann, mit eine Tüte Reis, eine Flasche Wein und ein wenig Zucker in der Hand.